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Informationen zum Projekt
Geschichte
Mit einem Häftlingstransport am 15. September 1944 wurden die weiblichen Häftlinge der Nebenlager St. Lambrecht und Mittersill, sowie die Zwangsprostituierten aus dem Häftlingsbordell in den Stand des Konzentrationslagers Mauthausen übernommen und somit das Frauenkonzentrationslager Mauthausen gegründet. Weibliche Häftlinge waren bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich zur Exekution oder Überstellung in andere Konzentrationslager nach Mauthausen transportiert worden. Die Gründung des Frauenkonzentrationslagers Mauthausen lässt auf Pläne des Reichssicherheitshauptamtes und des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes schließen, weibliche Häftlinge von nun an gezielt nach Mauthausen zu überstellen. Transporte, die ab Herbst 1944 aus Auschwitz-Birkenau nach Mauthausen abgingen wurden durchwegs nach rüstungswirtschaftlichen Kriterien zusammengestellt. Nur Frauen, die noch arbeitsfähig waren, wurden ins Konzentrationslager Mauthausen überstellt. Ein Motiv für diese Überstellungspläne der SS könnte die Idee von der Alpenfestung gewesen sein, wonach ein großer Teil des österreichischen Alpengebietes als Refugium für Dienststellen und die wichtigsten Rüstungsbetriebe des Dritten Reiches dienen sollte. Die Häftlinge, die für diese Produktionsstätten noch gebraucht wurden, wurden aus Lagern des Ostens, und aus Norddeutschland in das Gebiet der Alpenfestung überstellt, die anderen wurden ermordet. Im Bereich des Frauenkonzentrationslagers Mauthausen wurden im Herbst 1944 zwei Nebenlager als Arbeitskräftereservoir für dort ansässige Industriebetriebe gegründet. Beide Lager wurden an Standorten errichtet, an denen wichtige Rüstungsbetriebe arbeiteten und bereits seit einiger Zeit große Zwangsarbeiter*innenlager bestanden. Das Nebenlager Lenzing und das Nebenlager Hirtenberg.
Am 28. September 1944 traf aus Auschwitz ein Transport mit 400 Frauen in Mauthausen ein, 391 von ihnen wurden direkt weiter nach Hirtenberg deportiert. In Hirtenberg nahe Baden, am Eingang des Triestingtales gelegen, bestand seit vielen Jahren die Hirtenberger Patronenfabrik, seit 1924 geführt von dem Industriellen Fritz Mandl. Diese, als eine der größten Herstellungsbetriebe von Infanteriemunition schon vor dem Anschluss ins Visier der Nationalsozialisten geratene Industrieanlage wurde mit dem Anschluss Österreichs 1938 der Wilhelm-Gustloff-Stiftung einverleibt - benannt nach dem von einem jüdischen Studenten erschossenen Führer der Auslandsorganisation der NSDAP in der Schweiz, Wilhelm Gustloff. Die deutschen Betriebsführer Beckurts und Krebs übernahmen die Fabrik von Fritz Mandl, der nach den Nürnberger Rassegesetzen als Jude galt. Beckurts und Krebs (bis 1939 im Amt, dann folgten Hans Braun als Betriebsführer und Hermann von Pflug als sein Stellvertreter) fingen bereits wenige Wochen nach der Übernahme des Werkes an, das Produktionsareal umzugestalten und umzustrukturieren. Die Fabrik war zu diesem Zeitpunkt noch mitten im Ort gelegen. Da es jedoch immer wieder zu schweren Arbeitsunfällen kam, verlegte man die gefährlichen Werkstoffe und die Patronenfertigung auf den Lindenberg oberhalb des Ortsgebietes. Die gesamte Anlage war von Stacheldrahtverhauen umgeben und wurde von einer Werkschutztruppe bewacht. Mit Kriegsbeginn und Fortdauer des Krieges wurde die Produktion in Hirtenberg immer mehr ausgeweitet, viele der einheimischen Arbeiter aus der Patronenfabrik wurden in die Wehrmacht eingezogen, und wurden auch hier durch Zwangsarbeiter*innen ersetzt. Für die vielen Tausend Zwangsarbeiter*innen wurde ein großes Barackenlager östlich des Hirtenberger Friedhofes errichtet, das sogenannte Weinberglager. Innerhalb dieses Lagers wurden einige Baracken zusätzlich mit Stacheldraht umzäunt und dienten fortan als Nebenlager des Frauenkonzentrationslagers Mauthausen, die offizielle Bezeichnung lautete Waffen-SS Arbeitslager Hirtenberg, Gustloff-Werke, Niederdonau.
Am 23. November 1944 trafen in Mauthausen elf weibliche Häftlinge aus Auschwitz und dem Frauenkonzentrationslager Ravensbrück für das Außenlager ein, vier Tage später wurden sie weiter nach Hirtenberg transportiert. Zu diesem Zeitpunkt waren im Außenlager Hirtenberg rund 400 weibliche Häftlinge interniert, die von 25 SS-Männern und SS-Aufseherinnen bewacht und zu den Arbeitsstätten gebracht wurden. Der Lagerkommandant war SS-Hauptstumführer Schröder, mit 24 anderen SS-Männern für die äußere Bewachung zuständig. Für den inneren Bereich des Lagers waren SS-Aufseherinnen zuständig, an deren Spitze Edda Scheer stand. Es ist möglich, dass im Zuge der Evakuierungstransporte aus Groß-Rosen auch im Jänner 1945 weitere Frauen nach Hirtenberg überstellt wurden. Der Großteil der Frauen im Nebenlager Hirtenberg stammte aus der ehemaligen Sowjetunion, weitere Frauen kamen aus Italien, Polen, Jugoslawien, Ungarn, Kroatien, Deutschland und der Slowakei. Drei der Frauen wurden als Jüdinnen, sechs als asoziale Häftlinge interniert, alle anderen waren sogenannte Schutzhäftlinge, also politische Gefangene. Die jüngsten der Frauen waren gerade 16 Jahre alt geworden, die Älteste 58, der Altersdurchschnitt lag bei 23.Die Frauen wurden in zwölf Stunden Schichten den Weg vom Weinberglager zu den Produktionsstätten am Lindenberg getrieben. Es kam immer wieder zu Sabotageversuchen und Arbeitsunfällen, die meistens schwerwiegende Verletzungen und Misshandlungen durch die SS-Aufseher und Zivilarbeiter nach sich zogen.In der Zeit bis zur Evakuierung starben offiziell zwei der Frauen in Hirtenberg. Walentina Gulja «wurde seinerzeit neben einem alten Hühnerstall vor einem Misthaufen verscharrt. Der Leichnam war nicht auffindbar.» Štefanija Rojic wurde zusammen mit anderen verstorbenen Zwangsarbeitern «im ganz neuen Friedhof verscharrt». Dort besteht bis heute ein Grabstein mit der Inschrift Kriegergrab, auf dem die Namen von verstorbenen Zwangsarbeitern und fehlerhaft die der zwei Frauen aus dem Nebenlager Hirtenberg neben zwei unbekannten SS-Männern stehen. Am 23. März 1945 konnte eine 23-jährige Frau aus dem Lager flüchten. Über ihre Ergreifung oder Exekution gibt es keine Dokumente. Eine Häftlingsfrau aus Hirtenberg starb am 29. April 1945 in Mauthausen. Die 26-jährige Kasimiera Rogoziński, die mit sieben anderen Frauen am 23. November 1944 aus Ravensbrück nach Mauthausen und dann weiter nach Hirtenberg deportiert worden war. Sieben weitere Frauen wurden auf dem Todesmarsch nach Mauthausen getötet, in den Akten findet sich der Vermerk auf der Flucht erschossen.
Die Evakuierung des Nebenlagers in Hirtenberg begann in den Apriltagen 1945. Anfang April 1945 hatte die Rote Armee begonnen, die Höhenzüge und Seitentäler zu besetzen. Sehr wahrscheinlich begannen die Häftlinge des Nebenlagers Hirtenberg mit ihren SS-Bewachern zu diesem Zeitpunkt, das Lager aufzulösen. Wenige Tage später war die Ortschaft mitten im Kampfgeschehen. Die Frauen verließen Hirtenberg nach Erinnerungen von Zeitzeuginnen am 2. April 1945. Am 6. April war Hirtenberg erobert, am 16. April 1945 gelang eine Flucht von 48 Frauen, über ihre Wiederergreifung oder Exekution konnten keine Hinweise gefunden werden. Am 18. / 19. April erreichten knapp 340 Frauen Mauthausen.
Die Hirtenberger Patronenfabrik besteht noch heute als Hirtenberger Holding AG auf demselben Gelände des sogenannten Talwerks. Außer dem Kriegergrab existiert in Hirtenberg kein Hinweis auf die Existenz des ehemaligen Außenlagers. Das ehemalige Lagergelände, heute eine große Wiese, ist bis auf eine Häuserreihe unverbaut. Das Gelände befindet sich im Verkauf. Die Überreste der 1945 zerstörten ehemaligen Produktionsanlagen auf dem Lindenberg liegen im Wald, neben einem Übungsplatz für Sportschützen und bewachsen von Pflanzen.
Quellennachweis: Andreas Baumgartner, «Die vergessenen Frauen von Mauthausen. Die weiblichen Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen und ihre Geschichte.» Herbert Exenberger, «Vergessene Opfer des NS-Regimes. Gedächtnisorte ohne Erinnerung.»